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Claas und die EU-Sanktionen
Eine Recherche von Radio Hochstift und der ZEIT

Claas und die EU-Sanktionen

Claas Standort

Wochenlang haben wir von Radio Hochstift zusammen mit der Wochenzeitung DIE ZEIT recherchiert. Das Ergebnis: Das Weltunternehmen Claas, mit Standort auch in Paderborn, hat ein umfangreiches, internes Strategiepapier erstellt, um womöglich Ausfuhrbeschränkungen zu umgehen. Konkret: Vom Russland-Embargo betroffene Produkte sollen trotzdem nach Russland geschickt werden. Dies zeigen interne Materialien, die der ZEIT und Radio Hochstift vorliegen.

Immer wieder findet ihr auf dieser Seite auch Zitate unterschiedlichster Beteiligter. Auch dadurch wird das Dilemma deutlich, indem der Konzern aktuell steckt.

„Das ist eine Doppelmoral bei Claas. Öffentlich heißt es, man halte sich an alle Regeln. Aber heimlich bricht man die Sanktionen.“
(Claas-Insider im Gespräch mit Radio Hochstift und der ZEIT)

Claas Parkplatz

Das Vorgehen: Verstecken und verbauen

Im Claas-Werk im russischen Krasnodar wird der Mähdrescher Tucano produziert. Dies funktioniert aber nur, wenn Teile importiert werden können. Die Teile kommen beispielsweise aus dem Werk in Paderborn oder aus dem Claas-Hauptwerk in Harsewinkel.

Eigentlich stehen viele dieser Teile unter dem Ausfuhrverbot. Aufgrund des Angriffskriegs auf die Ukraine steht das Werk in Krasnodar seit Monaten still. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt. Für Claas eine wirtschaftliche Katastrophe.

Also überlegte sich das Unternehmen, wie das Werk in Krasnodar trotzdem wieder ans Laufen kommt.

Der Plan: Gesperrte Komponenten werden in vorgefertigte Einheiten, das heißt größere Teile, verbaut. Beispiel: Der Hydraulikzylinder, der vorher einzeln versendet wurde, soll jetzt schon in einem Werk in Deutschland (bspw. Paderborn) an eine Hinterachse geschraubt werden. Dann ist es eine Baugruppe und kein Einzelteil mehr und erhält eine neue Zolltarifnummer.Anhand einer Präsentation, die in Russland ausgearbeitet wurde, wird seit Wochen in deutschen Claas-Werken geschaut, wie Komponenten, die unter das Embargo fallen, in anderen Einheiten versteckt werden können. Laut einem hochrangigen Claas-Manager, mit dem Radio Hochstift und DIE ZEIT sprechen konnten, läuft das Geheimprojekt spätestens seit dem Sommer dieses Jahres.
 


So klang die Berichterstattung zu diesem Thema on air:


Teil der Claas-Präsentation, die Radio Hochstift und der ZEIT vorliegt
Teil der Claas-Präsentation, die Radio Hochstift und der ZEIT vorliegt

Übrigens: Laut des Bundesamtes für Ausfuhrkontrolle wäre der Export kompletter Mähdrescher legal. Allerdings könnte Claas dann den Sonderinvestitionsvertrag (SPIC) nicht mehr erfüllen. Dieser gibt vor, einen bestimmten Anteil der Arbeiten im russischen Werk vorzunehmen. 

Die Testlieferungen: Der Plan funktioniert zum Teil

Im Spätsommer 2022 schickte Claas, nach Informationen von Radio Hochstift und der ZEIT, eine erste Lieferung Richtung Russland los. An der EU-Außengrenze wurde diese gestoppt: Der Zoll in Estland sah in der Claas-Ware einen Verstoß gegen die Sanktionen und sandte Teile zurück nach Ostwestfalen.

Später soll sich allerdings folgender Vorgang ereignet haben: Eine Lieferung mit sogenannten Lenksystem-Kits aus dem Paderborner Claas-Werk schaffte es bis Russland. Ende Oktober passierte die Sendung die Zollabfertigung in Krasnodar. Teil der Lieferung waren auch sechs sanktionierte Hydraulikzylinder.

Zoll

 „Hat der Krieg auch Auswirkungen auf die Produktion in Harsewinkel? Derzeit nicht. […] Und die Stimmungslage? Kann man noch ordentlich miteinander sprechen? Das Geschäft ist praktisch zum Erliegen gekommen – da gibt es wenig Themen.“
(Claas-Chef Thomas Böck im Interview mit der Neue Westfälische, 12.08.2022)
 

Wie wichtig der russische Markt für Claas ist, zeigt auch ein Blick in die Umsatzzahlen: Der Anteil liegt bei 26% in Zentral- und Osteuropa. Claas erwirtschaftete dort im Jahr 2021 also über eine Milliarde Euro. Laut eines Claas-Insiders stammen 230 Millionen Euro Umsatz und 46 Millionen Euro Gewinn allein aus dem Russland-Geschäft.

Zeitstrahl Claas

Das Embargo: Warum überhaupt?

Mit den Wirtschaftssanktionen will die Europäische Union Russland doppelt treffen. Erstens soll verhindert werden, dass die Rüstungsindustrie Nachschub erhält. Zweitens soll die Wirtschaft zum Erliegen gebracht werden, um Putins Regierung zu schwächen. Aktuell dürfen mehr als 500 Produkte nicht mehr nach Russland exportiert werden.

Die Vorgeschichte: Claas in Krasnodar

2005 baute Claas als erstes ausländisches Landtechnikunternehmen eine eigene Produktion in Russland auf. Mit Ausgaben in Höhe von rund 160 Millionen Euro war es die bislang größte Claas-Investition außerhalb von Deutschland. Noch 2020/2021 wurde das Werk auf 53.000 Quadratmeter erweitert. Allein die neue Halle soll größer als der Rote Platz in Moskau sein – sagt zumindest Ralf Bendisch.

"Es gibt dort (Russland) keinen Wettbewerber, der besser positioniert ist als wir."
(Claas-Insider im Gespräch mit Radio Hochstift und der ZEIT)

Die Kapazitäten sollten die Produktion von bis zu 2.500 Mähdreschern ermöglichen. Claas war auch das erste ausländische Unternehmen, das 2016 einen Sonderinvestitionsvertrag (SPIK) mit der russischen Regierung abgeschlossen hat und sich seitdem „Vaterländischer Hersteller“ nennen durfte. Der Tucano-Mähdrescher konnte dadurch den Status eines russischen Produkts erhalten. Zu jedem Mähdrescher, den Claas seitdem an russische Bauern verkauft, zahlt die russische Regierung ein Viertel des Kaufpreises dazu. „Ohne den Vertrag hätte das Unternehmen keine Chance auf dem Markt gehabt", erinnert sich der Claas-Russlandchef Bendisch.

Claas

„Wenn man keine Abhängigkeiten hat, dann bringen wirtschaftliche Sanktionen überhaupt nichts. […] Deswegen halte ich die auch für wirkungslos. […] Das Wichtigste ist, das sie im Dialog bleiben. […] Dafür setze ich mich im Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft auch ein und hoffe das Beste.“
(Claas-Aufsichtsratsvorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser, IHK Magazin, 13.01.2022)

Eine besondere Rolle: Honorarkonsul Ralf Bendisch

„Etwas Friedlicheres als eine Landmaschine gibt es einfach nicht“, sagte Dr. Ralf Bendisch in der Broschüre der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer im Jahr 2022. Bendisch hatte lange Zeit eine Doppelrolle: Bis Oktober 2022 war er Generaldirektor von Claas in Russland. Er ist aber auch Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Krasnodar – für die südrussische Region darf er beispielsweise konsularische Bescheinigungen ausstellen.

Die Anschrift des deutschen Konsulats ist die gleiche Adresse wie die des Mähdrescher-Werks von Claas in Krasnodar. Bendisch ist also ehrenamtlicher Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. Sollte das Außenministerium Zweifel an der persönlichen Eignung des Mannes bekommen und sich diese bestätigen „können Honorarkonsuln abberufen werden“, sagte eine Sprecherin.

„Wir sind in Russland zu einem Unternehmen geworden, über das man spricht und das man als Beispiel für andere Investments zitiert.“
(Claas Russland-Generaldirektor Ralf Bendisch)

Die Reaktion: Claas dementiert

Radio Hochstift und DIE ZEIT haben Claas einen umfangreichen Fragenkatalog geschickt. Doch auf die konkreten Vorwürfe geht der Konzern nicht ein. Ein Unternehmenssprecher schreibt allgemein: „Unsere Export-Lieferungen unterliegen ausnahmslos strengen internen und externen Kontrollmechanismen. Alle unsere Ausfuhren nach Russland werden nach intensiver Prüfung der Fachabteilung und der zuständigen Ausfuhrzollstellen freigegeben. Wir weisen jedweden Vorwurf eines Verstoßes gegen Sanktionen und etwaiger Bestrebungen, solche Sanktionen zu umgehen, daher strikt zurück.“

Und weiter heißt es: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu Betriebsinterna und Spekulationen grundsätzlich nicht äußern.“

EU-Sanktionen: Juristische Ermittlungen in NRW

Gespräche und Nachfragen mit und bei vielen Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen zeigen: Ja, es gibt Unternehmen, die gegen das Russland-Embargo verstoßen haben. Nach unseren Recherchen wurden in NRW bislang mindestens 30 Ermittlungsverfahren wegen möglicher Verstöße gegen EU-Sanktionen eingeleitet. Gegen Claas wird bislang nicht ermittelt.

In NRW ist bislang kein Fall von herausragender Qualität bekannt. Im Gegenteil: Nach Recherchen von ZEIT und Radio Hochstift geht es in den allermeisten Fällen um fahrlässige Verstöße. Dies bestätigen unter anderem die Staatsanwaltschaften Paderborn, Bielefeld, Bochum und Köln. Unternehmen/Lieferanten wollten beispielsweise Holzpaletten oder Autos nach Russland exportieren. Nach Ansicht der Ermittlerinnen und Ermittler wussten die Auftraggeber schlicht nicht, dass die Produkte auch unter das Embargo fallen. Eine Anklage gibt es demnach bislang nicht. In vielen Fällen übernehmen auch die jeweils zuständigen Zollämter die Ermittlungen, weil es sich um Ordnungswidrigkeitsverfahren handelt.


Wir haben für diesen Bericht mit Journalisten der Wochenzeitung DIE ZEIT zusammengearbeitet.

Hier findet ihr den Artikel der ZEIT zu dem Thema.

Artikel in "Die Zeit"

Weitere Berichterstattung

Seit der Veröffentlichung der gemeinsamen Recherche von Radio Hochstift und der ZEIT haben viele weitere Medien über das Russland-Geschäft von Claas berichtet – darunter Fernsehsender, Onlinemedien, weitere Radiosender und Tageszeitungen. Zum Beispiel Tagesschau Online, zum Beispiel aber auch ein gutes dutzend Lokal- und Regionalmedien.

 

Collage von Claas-Berichten

Und das sind die Folgen:

30.11.2022 | Compliance-Untersuchung

Parallel zur Berichterstattung von Radio Hochstift und der ZEIT zum Thema Claas gab das Unternehmen selbst eine Info an alle Mitarbeitenden heraus. Darin kündigt der Weltkonzern eine „vorsorgliche Compliance-Untersuchung“, also eine Überprüfung der Rechtskonformität, an.


02.12.2022 | Dringliche Anfrage an EU-Kommission

Die Abgeordnete des EU-Parlaments Viola von Cramon hat eine offizielle Anfrage an die Kommission gestellt und diese gleichzeitig als dringlich eingestuft. In diesem Fall ist die EU-Kommission angehalten, innerhalb von drei Wochen zu antworten. Die Grünen-Politikerin, die gebürtig aus dem Kreis Gütersloh kommt, will unter anderem wissen, ob der EU-Kommission die Claas-Thematik bekannt ist. Außerdem soll die Kommission sagen, was sie tut, um mögliche Schlupflöcher in den EU-Sanktionen gegen Russland zu schließen.


Quelle: agrarheute.com

06.12.2022 | Bilanzpressekonferenz verschoben

Mutmaßlich um Fragen zum Russland-Geschäft aus dem Weg zu gehen, verschiebt Claas kurzfristig die anberaumte Bilanz-Pressekonferenz. Stattdessen werden die Umsatzzahlen in einer Pressemitteilung veröffentlicht.


Quelle: www.faz.net

10.03.2023 | Gutachten entlastet Claas?

Im März 2023 berichtet unter anderem die FAZ über ein von Claas in Auftrag gegebenes Gutachten. Dieses soll den Konzern in Bezug auf die Vorwürfe entlasten. Claas ist, trotz mehrfacher Nachfrage, allerdings nicht bereit zumindest Teile des Gutachtens vorzulegen.


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