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Stephan Kaiser
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Was wir bisher zum Fall wissen

Die Vorwürfe

Drei Hauptverdächtige

Verdächtig sind ein Mann aus Lügde (56), ein Mann aus Steinheim (33) und ein Mann aus Stade (48). Die Männer wurden im Dezember 2018 und Anfang Januar 2019 in Lügde und Stade (Niedersachsen) festgenommen. Alle drei sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Darüber hinaus gibt es fünf weitere Verdächtige, die allerdings nicht in Haft sitzen. Die Vorwürfe könnt ihr hier im Detail nachlesen.

Mehr als 1.000 Taten

Der Mann aus Lügde (56) und der Mann aus Steinheim (33) sollen über einen Zeitraum von mindesten zehn Jahren (2008 bis 2018) Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren sexuell missbraucht haben - teilweise schwer. Bislang wissen die Ermittler von mehr als 1.000 einzelnen Taten und 41 Opfern. Die Zahl der Opfer war nach Bekanntwerden des massenhaften Missbrauchs bei der Pressekonferenz am 30. Januar 2019 von 23 auf jetzt 41 gestiegen (Stand Mai 2019). Die meisten Opfer sind Mädchen. Ein Großteil der Taten soll sich auf dem Campingplatz in Lügde-Elbrinxen abgespielt haben. 

Daten im Umfang von 14 Terabyte

Nach dem die Ermittlungen ins Rollen kamen, stellten die Ermittler bei ihren Durchsuchungen Daten im Umfang von 14 Terabyte sicher, darunter 13.000 kinderpornografische Dateien. Insgesamt wurden zehn Computer, neun Handys, mehr als 40 Festplatten und mehr als 400 weitere Datenträger beschlagnahmt. 24 IT-Spezialisten in Bielefeld werten aktuell 3,3 Millionen sichergestellte Fotos und mehr als 86.000 Videos aus.

Wahrscheinlich mehr Opfer

Die Ermittler gehen davon aus, dass die Opferzahl weiter steigen wird, sobald das Kinderporno-Material vollständig ausgewertet ist und weitere Kinder indentifiziert wurden.


Wie die Ermittlungen ins Rollen kamen

Auslöser für die Ermittlungen war im Jahr 2018 der Hinweis auf den Missbrauch eines kleinen Mädchens. Die Sechsjährige ist eine Freundin des Pflegekindes des Hauptverdächtigen aus Lügde. Der entscheidende Hinweis kam von der Mutter der Sechsjährigen.

Schon bei den ersten Anhörungen der Kinder (der Freundin und der Pflegetochter) verdichteten sich laut Polizei und Staatsanwaltschaft die Hinweise darauf, dass sich der 56-Jährige nicht nur an der Freundin, sondern auch an seiner Pflegetochter mehrfach vergangen haben könnte

Er wurde am 6. Dezember 2018 festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Es folgten mehrere Durchsuchungen seiner Behausungen - die Parzelle auf dem Campingplatz und eine Wohnung in Lügde. Bei den Durchsuchungen wurden zahlreiche Datenträger sichergestellt.

"Bei der Auswertung und bei den Anhörungen der Kinder kamen perfide Einzelheiten zu Tage, die mich und meine Kollegen noch lange nach Dienstende beschäftigten." 

(Gunnar Weiß, damaliger Leiter der EK "Camping" und Kriminalhauptkommissar)   
        

Im Rahmen der Ermittlungen stießen die Beamten dann auf zwei weitere Tatverdächtige. Der Mann aus Steinheim (33) und der Mann aus Stade (48). Beide Männer wurden kurz hintereinander festgenommen, nämlich am 10. Januar 2019 und am 11. Januar 2019. Sie sitzen ebenfalls in Untersuchungshaft

Am 1. Februar übernahm die Polizei in Bielefeld

Zunächst ermittelten neun Beamte der lippischen Ermittlungskommission "Camping" in dem Fall. Am 1. Februar 2019 hat die Polizei in Bielefeld den Fall übernommen.

Die neue Ermittlungskommission "Eichwald" ist mittlerweile 79 Mann stark. Auch Polizeibeamte aus anderen Behörden des Regierungsbezirks Detmold und aus NRW helfen bei der Aufklärung des Falls. 

Dass Bielefeld den Fall übernommen hat, liegt laut NRW-Innenministerium hauptsächlich daran, dass die Polizei dort mehr Personal hat. Denn der Fall hat eine außerordentlich große Dimension angenommen. 

Was sagen die Ermittler?

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Was wir über die mutmaßlichen Täter wissen

Andreas V. aus Lügde

Andreas V. (56) gilt als Hauptverdächtiger in dem Fall. Er kommt aus Lügde und soll 30 Jahre lang als Dauercamper auf dem Campingplatz im Ortsteil Elbrinxen gewohnt haben. Andreas V. ist alleinstehend, soll aber mal veheiratet gewesen sein. Seit 20 Jahren ist er arbeitslos. Obwohl er auch eine Wohnung in Lügde gehabt haben soll, lebte er wohl dauerhaft in seiner Parzelle auf dem Campinglatz Eichwald.

Seit 2016 lebte Andreas V. zusammen mit seiner Pflegetochter auf dem Campingplatz. Die Pflegschaft ist ihm vom Jugendamt Hameln-Pyrmont übertragen worden. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mann seine Pflegetocher gezielt als Lockvogel für andere Kinder eingesetzt hat, um auch diese zu missbrauchen. Die meisten der bisher identifizerten Opfer sollen aus dem Freundeskreis des Mädchens stammen.

Andreas V. soll die Kinder regelrecht geködert haben, damit sie sich bei ihm wohlfühlten. So ist die Rede von gemeinsamen Besuchen in Freizeitparks und Schwimmbädern, aber auch Quad-Touren soll er organisiert haben. Er soll skrupellos und strategisch vorgegangen sein, um das Vertrauen der Kinder zu gewinnen. Obwohl das Pflegekind erst seit 2016 dauerhaft bei Andreas V. lebte, sollen Kinder mindestens seit 2008 auf dem Campingplatz missbraucht worden sein. Es geht also um einen Zeitraum von zehn Jahren. Und möglicherweise hat sich Andreas V. schon sehr viel früher schuldig gemacht. Eine Zeugin behauptet in mehreren Medien, dass sie selbst als Kind im Jahr 1991 mehrfach von Andreas V. missbraucht wurde. 

Außerdem gibt es noch einen nicht abschließend geklärten Listeneintrag: Denn die lippische Polizei führt seit 1999 eine Liste zu Sexualdelikten und unter dem Datum Januar 2002 steht ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch einer Achtjährigen durch den Dauercamper. Ein Verfahren ist damals nach Angaben von NRW-Innenminister Herbert Reul aber offenbar nicht eingeleitet worden. Das soll aber noch genauer geprüft werden. Reul kündigte an, dass auch die anderen älteren Verdachtsfälle des sexuellen Missbrauchs auf dem Campingplatz neu aufgerollt werden.

Mit Stand Mai 2019 sitzt Andreas V. seit mehr als einem halben Jahr in U-Haft. Und im Mai hat er sich erstmals geäußert. Was er den Ermittlern gesagt hat, ist noch unklar. Nach Angaben von Staatsanwaltschaft und Polizei bezog sich die Aussage aber nicht auf die Taten, die ihm vorgeworfen werden.

Mario S. aus Steinheim (33)

Mario S. und Andreas V. sollen sich in einschlägigen Chats kennengelernt haben. Vermutlich haben sie sich auch dort für den gemeinsamen Missbrauch auf dem Campingplatz verabredet. Die Ermittler gehen davon aus, dass beide Männer an den vermutlich 1.000 Einzeltaten beteiligt waren. Sie sollen die Kinder abwechselnd sexuell missbraucht und dabei teilweise auch gefilmt haben. Mario S. soll ebenfalls zum Teil auf dem Campingplatz gewohnt haben. Er schweigt bis dato zu den Vorwürfen. Auch er sitzt seit einem halben Jahr in U-Haft.

 

Heiko V. aus Stade (48)

Heiko V. aus Stade (Niedersachsen) ist der einzige der drei Hauptverdächtigen, der seit Anfang an mit den Ermittlern über die Vorwürfe gesprochen hat. Schon auf der Pressekonferenz am 30. Januar 2019 gab die lippische Polizei bekannt, dass Heiko V. ein Teilgeständnis abgelegt hat. Er soll Andreas V. und Mario S. nicht persönlich gekannt haben. Der Kontakt soll über einen Chatroom im Darknet zustande gekommen sein. Heiko V. wird verdächtigt, die Kinderpornos über diesen Chat in Auftrag gegeben zu haben. Nach Auskunft der ermittelnden Behörden soll der 48-Jährige allerdings bestreiten, den Missbrauch in Auftrag gegeben zu haben.

Hinweise auf einen Kinderpornoring haben die Ermittler nicht. Sie halten es aber für unwahrscheinlich, dass Heiko V. der einzige Abnehmer des scheußlichen Materials war.

Weitere Verdächtige

Mit Stand 14. Mai 2019 gibt es im Missbrauchsfall von Lügde neben den drei Hauptverdächtigen noch fünf weitere Beschuldigte. Es handelt sich dabei um einen 21-jährigen Mann, gegen den wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt wird. Außerdem wird ein 16-Jähriger aus der Region beschuldigt, Kinderpornos besessen zu haben, die auf dem Campingplatz in Lügde entstanden sind. Die Ermittler waren bei der Auswertung sichergestellter Daten auf ihn gestoßen.

Ein weiterer Verdächtiger soll im Auftrag einer der Hauptbeschuldigten Kinderpornos von Datenträgern gelöscht haben und bei den übriggebliebenen zwei Verdächtigen geht es um die Frage, ob sie ihre Kinder dem Hauptbeschuldigten anvertraut haben, obwohl sie von Missbrauchsvorwürfen gegen ihn wussten. Ermittelt wird also wegen Besitzes von kinderpornografischem Material von dem Campingplatz, Strafvereitelung und Beilhilfe zum Missbrauch.

Die fünf Verdächtigen sitzen nicht in U-Haft.

Stand 04. Juli 2019: Es wird gegen einen weiteren Mann ermittelt der eine Parzelle auf dem Campingplatz in Lügde hatte. Der 57-Jährige kommt aus Steinheim und befindet sich auf freiem Fuß. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs. Ein Opfer hatte ihn bei den Ermittlungen als Täter genannt. 


Was wir über die Opfer wissen

Über die Opfer ist natürlich aufgrund des Opferschutzes nicht viel bekannt. Und das ist gut so. Wir wissen, dass es bislang 41 identifizierte Opfer gibt, die wohl größtenteils aus dem Freundeskreis des Pflegekindes des Hauptverdächtigen stammen. Die Kinder sind zwischen vier und 13 Jahre alt. Außerdem gibt es 11 Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie ebenfalls auf dem Campingplatz missbraucht wurden. Es könnten also schon 52 Opfer sein.

Sicher ist, dass alle bisher bekannten Opfer in Sicherheit sind. Die Polizei hat umfangreiche Opferschutzmaßnahmen eingeleitet.

"Dem Opferschutz und der Opfernachsorge räumen wir einen hohen Stellenwert ein. Wir haben entsprechende Hilfen für die Kinder und betroffene Angehörige angeboten."

(Achim Tietz, Erster Kriminalhauptkommissar in Lippe am 30.01.2019)

Wie geht es dem Pflegekind?

"Das Mädchen ist in guten Händen. Es ist bei einer sehr erfahrenen Familie zur Betreuung und wird einen Platz in einer geeigneten Einrichtung bekommen."

(Sandra Lummitsch, Pressesprecherin Landkreis Hameln-Pyrmont am 30.01.2019)

Kurz nach der Pressekonferenz am 30. Januar 2019 hat die Staatsanwaltschaft Detmold bekanntgegeben, dass es bereits 2016 Hinweise auf einen möglichen sexuellen Missbrauch gab.

Im August 2016 gab es einen Hinweis von einem Familienvater (56) aus Bad Pyrmont. Dieser rief die Polizeidienststelle in Blomberg an. Die Polizei informierte das Kreisjugendamt Lippe und das wiederum das Jugendamt Hameln-Pyrmont.

Daraufhin gab es laut Staatsanwaltschaft eine Überprüfung des Hauptverdächtigen auf dem Campingplatz in Lügde-Elbrinxen, eine Kindeswohlgefährdung wurde aber nicht erkannt. Auch polizeiliche Ermittlungen erfolgten nicht.

Zwei Monate später kam der zweite Hinweis

Im November 2016 informierte eine Mitarbeiterin des Jobcenters Blomberg die Polizei und auch das Kreisjugendamt in Lippe.

Dabei ging es laut Staatsanwaltschaft um eine Äußerung des Hauptverdächtigen ihr gegenüber, die auf einen sexuellen Missbrauch des Kindes hindeuten konnten.

Wieder informierte die Polizei die beteiligten Jugendämter. Diese teilten dann mit, dass die Überprüfungen des Pflegevaters und späteren Hauptverdächtigen zu keinem Zeitpunkt Hinweise für einen sexuellen Missbrauch erbracht hätten.

Die Polizei hat den Vorgang abgeschlossen, ohne weitergehend zu ermitteln und ohne die Staatsanwaltschaft zu informieren

"Das ist Behördenversagen an allen Ecken und Kanten"

(Herbert Reul, NRW-Innenminister)

Ermittlungen gegen Mitarbeiter

Die Staatsanwaltschaft Detmold und die Polizei in Bielefeld ermitteln gegen drei Polizisten aus Lippe wegen des Verdachts der Strafvereitelung. Außerdem wird geprüft, ob die Polizisten die Tatverdächtigen persönlich kannten. Und auch gegen Mitarbeiter der beiden Jugendämter wird strafrechtlich ermittelt - bei ihnen geht es um den Verdacht der Verletzung der Fürsorgepflicht.

Landkreis Hameln-Pyrmont stellt Jugendamt-Mitarbeiter vom Dienst frei

Nach den vielen Missbrauchsfällen in Lügde sind Akten geschönt worden. Der Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont hat zugegeben, dass Akten des Jugendamtes nachträglich manipuliert wurden. Der Mitarbeiter, der das gemacht haben soll, ist vom Dienst freigestellt. Das teilte der Landkreis am 15. Februar 2019 mit. Auch ein Polizist hat nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung Regeln gebrochen. Er gab Hinweise im Jahr 2016 auf sexuellen Missbrauch nicht an die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft weiter - das wäre aber seine Pflicht gewesen.


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