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Selina Hare
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Leben am Existenzminimum

Wir merken es alle: Die Preise für praktisch alles steigen gerade. Die einen müssen ein bisschen den Gürtel enger schnallen. Vielleicht merken sie, dass sie sich gewisse Dinge nicht mehr leisten können, die sie sich noch vor ein paar Wochen gegönnt haben. Bei anderen kann es passieren, dass sie hungrig ins Bett gehen. Wir haben unter anderem mit Menschen am Rande der Gesellschaft im Hochstift gesprochen. Ihre Aussage: Klar, es gibt viele Netze und Hilfestellen in Deutschland. Aber wer einmal abrutscht, der kommt schwer wieder auf die Beine. Besonders jetzt... Darauf möchten wir aufmerksam machen.

Wie ist die Lage im Hochstift?

  • Einzellfallhilfen/Lebensmittelgutscheine: Unter anderem die Diakonie Paderborn-Höxter spricht auf Anfrage von deutlich mehr Anfragen. Die Einzelfallhilfen und Lebensmittelgutscheine werden aus Spenden finanziert, die bei höherer Nachfrage ebenfalls steigen müssten. Größte Probleme seien die gestiegenen Energiekosten, die hohen Spritpreise und die verteuerten Lebensmittel.
     
  • Schuldnerberatung: Die Schuldnerberatung des Paderborner Caritasverbandes stellt aktuell noch keine "signifikante Änderung bei den Anfragen" fest. Aber: "Die Anzahl der Menschen, die Kontakt aufnehmen und eine Beratung benötigen, ist gleichbleibend hoch." Die Diakonie Paderborn-Höxter ergänzt: Der Besuch in der Beratung findet immer mit Zeitverzug statt. Die Betroffenen kommen erst, wenn nicht anderes mehr geht. Fast immer wird erst Erspartes angebrochen und Freunde/Verwandte angepumpt.
     
  • Insolvenzen: Die Zahl der Insolvenzen steigt im Hochstift. Im ersten Quartal 2022 wurden im Kreis Höxter 50 Insolvenzverfahren beantragt, im Kreis Paderborn 108. Im Vorjahresvergleich ist das ein Plus von 22% im Kreis Höxter bzw. 40% im Kreis Paderborn. Zu berücksichtigen ist, dass während der Corona-Pandemie in den Jahren 2020/2021 die Pflicht zur Insolvenzanmeldung zeitweise gelockert war.
     
  • Mindestsicherung: Mehr als 30.000 Menschen im Hochstift erhalten eine sogenannte Mindestsicherung - sie werden also finanziell durch den Staat unterstützt, z.B. mit SGB2-Leistungen. (Hinweis: Die aktuellsten Zahlen stammen von Anfang 2021.)  

Paderborner Tafel: „Wir arbeiten am Limit“

4.000 Kunden hat die Paderborner Tafel mittlerweile – und es werden täglich mehr. Ein Grund dafür sind die aktuell stark steigenden Preise. Wir haben mit Wolfgang Hildesheim gesprochen. Der 68-Jährige ist Chef der mit Abstand größten Tafel im Hochstift.

 

Radio Hochstift: „Herr Hildesheim, wie peinlich finden Sie es, dass es die Tafel auch in Paderborn überhaupt geben muss?

Hildesheim: „Es ist leider so, dass wir die Tafel einfach brauchen. Schöner wäre es, wenn wir sie nicht bräuchten. Aber das wird es wohl, bei uns in Deutschland und auch in anderen Ländern nicht geben."


Paderborner Tafel

  • Sommer 2000 gegründet
  • 4.000 Kunden
  • 150 Helferinnen und Helfer
  • 30 Tonnen Lebensmittel pro Woche
  • 10 Ausgabestellen

RH: „Wer ist aus Ihrer Sicht Schuld an der Situation?“

Hildesheim: „Schuld ist auch die Politik. Die Leute haben einfach zu wenig Geld. Die Preise steigen immer mehr und die Armut wird immer größer.“

 

RH: „Hat sich die Situation bei der Tafel, aufgrund der aktuell stark steigenden Preise, noch mal verschärft?

Hildesheim: „Es kommen immer mehr Kunden. Bedingt auch dadurch, dass die Löhne nicht wirklich mitwachsen. Jetzt kam noch der Ukraine-Krieg dazu. Seitdem arbeiten wir am Limit. Früher hatten wir Rentner und HartzIV-Empfänger als Kunden. Heute kommen auch Schüler, Geringverdiener, Kurzarbeiter und viele mehr.“

Die kompletten Interviews von Radio Hochstift-Reporter Tobias Fenneker mit Wolfgang Hildesheim zum Nachhören:


Was ist die Armutsgrenze?

Als armutsgefährdet gelten in Deutschland Menschen, die monatlich über weniger als 60 Prozent des mittleren Netto-Haushaltseinkommens verfügen. Ende 2021 veröffentlichte der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen neuen Bericht "Armut in der Pandemie. Der Paritätische Armutsbericht 2021" In Kürze: Die Armutsquote hat mit 16,1% einen neuen Höchststand erreicht. 13,4 Millionen Menschen in Deutschland gelten also als arm.


#ichbinarmutsbetroffen

Seit Wochen veröffentlichen auf Twitter immer mehr und immer wieder User ihre Geschichten unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen . In Gang gebracht wurde der Hashtag von der alleinerziehenden Mutter 'Finkulasa'. Mittlerweile gibt es mehr als 200.000 Tweets zu diesem Thema. (Stand: 17.06.2022).


Ilona, 60, Verkäuferin aus Paderborn

„Ich habe überlegt, welche Möglichkeiten ich jetzt habe, etwas mehr Geld für Lebensmittel zu haben. Als erstes habe ich beschlossen, meine Mitgliedschaft im Fitnessstudio zu canceln.“

„Ich brauchte neue Autoreifen. Um etwas mehr Geld reinzubekommen, habe ich mich von sieben bis 16 Uhr auf den Flohmarkt gestellt. Mit den Einnahmen konnte ich immerhin einen Reifen bezahlen.“

„Ich mache mir Sorgen, wenn Anfang des kommenden Jahres zum Beispiel die Stromabrechnung kommt. Ich versuche, Geld an die Seite und zu legen. Ich gönne mir nichts großartig.“

„Altersarmut ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte. Wenn ich alte Leute sehe, die Flaschen sammeln, bete ich, dass mir sowas nicht passiert.“


Michelle, 58, am Existenzminimum in Paderborn

Die Paderbornerin hat in ihrem Leben schon alles mitgemacht: Sie wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf - später wurde sie drogenabhängig und saß im Knast. Mittlerweile ist sie wieder clean. Aber sie lebt am Existenzminimum. Uns hat sie ihre Geschichte erzählt.


"Wir richten uns darauf ein, dass Menschen ihren Wohnraum verlieren"

Wir haben auch mit Joachim Veenhof, Geschäftsführer vom Katholischen Verein für soziale Dienste in Paderborn gesprochen.

Was mir besonders Sorge macht, ist die Gas- und Stromkostenentwicklung. Weil da, wissen wir, wird erst zum Jahreswechsel abgerechnet und das Jobcenter übernimmt nicht alle Kosten, die dann entstehen und die Rücklagen sind nicht da.

Er sieht auch den Lebensstil seiner Klientinnen und Klienten in Schieflage. Konnte der SKM bis jetzt noch den einen oder anderen zu einer gesunden Ernährung motivieren, so wird das jetzt mit steigenden Lebensmittelkosten über Bord geworfen. Die Menschen sind froh, wenn sie überhaupt etwas auf dem Tisch haben. Alles, was sie sich vielleicht sonst noch mal zwischendurch gegönnt haben, das wird auf Kosten der Lebensqualität weggespart.

Zu gerine Betten-Zahl in Notübernachtungsstellen - Menschen mussten abgewiesen werden

Nicole Wiggers, stellvertretende Geschäftsführerin von KIM - soziale Arbeit und eine der Sprecherinnen vom Runden Tisch Armut in Paderborn, war live zu Gast im Studio bei Sinah Jakobsmeyer und hat erzählt, wie schwierig die aktuelle Lage für Menschen am Existenzminimum ist:


Mike, 40, wohnungslos in Paderborn


Hilfestellen & Ansprechpartner

Kreis Paderborn

  • Den besten Überblick über die Hilfsangebote zum Thema Armut erhaltet ihr auf der Seite des Runden Tisches Armut Paderborn. 13 Träger, Verbände und Institutionen haben sich 2006 unter dieser Dachmarke zusammengefunden. Der Runde Tisch Armut bietet Hilfe bei folgenden Themen:
     

    • Haushalt - Kleidung - Schule
    • Energie - Finanzen
    • Unterkunft - Wohnungslosigkeit
    • Schwangerschaft
    • Treffpunkt - Beratung
    • Arbeitslosigkeit - Ausbildung - Beruf
       

  • Selbstverständlich gibt es weitere Hilfsangebote - unter anderem die Tafel Paderborn mit Ausgabestellen in Paderborn, Bad Lippspringe und Altenbeken.


Kreis Höxter

Im Kreis erstellte die Arbeitsgemeinschaft der Wohfahrtsverbände aus Paritätischem, dem Deutschen Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt und dem Caritasverband in Kooperation mit dem Kulturland Kreis Höxter einen Flyer, in dem viele Hilfestellen für das gesamte Kreisgebiet aufgeführt werden. Die Höxteraner Hilfestellen haben wir euch im Folgenden einmal herausgesucht:

  • Lebensmittel:

    • Höxteraner Mittagstisch
      Di & Do 12-13:15 Uhr
      Brüderstraße 7, Höxter
      Telefonnummer: 05271 2204
      Diakonie

    • Höxter Tisch
      Mo 16-18 Uhr / Di 10-15 Uhr / Do 15-18 Uhr / Mi & Fr nach Vereinbarung
      Westernbachstraße 19 (Hinterhaus), 37671 Höxter
      Tel: 05271 36145 / Mobil: 0172 5210237
      „Höxter Tisch“ e.V.

  • Kleidung, Möbel, Schulmaterialien:

    • DKSB – Kleiderstübchen Kinderschutzbund
      Mo-Do 10-14 Uhr / Di 8-13 Uhr
      Mi 15-18 Uhr / 1. Mittwoch im Monat 8-13 Uhr
      Berliner Platz 1, 37671 Höxter
      Telefon: 05271 4989220

    • Kleiderkammer Deutsches Rotes Kreuz
      Di 14-16 Uhr
      Corveyer Allee 29a, 37671 Höxter
      Telefon: 05271 932150

    • Kleiderkammer Höxter Tisch e.V.
      Mo 16-18 Uhr / Di 10-15 Uhr / Do 15-18 Uhr / Mi & Fr nach Vereinbarung
      Westernbachstraße 19 (Hinterhaus), 37671 Höxter
      Tel: 05271 36145 / Mobil: 0172 5210237
      „Höxter Tisch“ e.V.

    • Schulmaterialienkammer
      Jeden 1. Donnerstag im Monat 14-15 Uhr & Sondereröffnungszeiten Schuljahresbeginn
      Brüderstraße 7, 37671 Höxter
      Telefon: 05271 2204
      Diakonie

    • GAB Gebrauchtartikelbörse
      Mo-Do  9-16:30 Uhr / Fr 9-16:30
      Stummrigestr. 30a, 37671 Höxter
      Tel: 05271 951430
      Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung Bielefeld

    • Tausch- und Verschenk Markt – Kreis Höxter

  • Erwerbslosenberatung:

    • Höxter
      Albaxer Str. 5
      Tel: 05271 963 4922


Habt ihr Feedback oder Fragen zum Thema?

Dann meldet euch gern bei Sinah Jakobsmeyer und Tobias Fenneker per Mail.